Talentselektion im Fußball

Im europäischen Fußball läuft das Transfer-Karussell auf Hochtouren. Spitzenspieler wechseln um horrende Summen die Vereine. Aber auch junge Nachwuchstalente sind bei den Top-Clubs heiß begehrt und erzielen beachtliche Ablösesummen.
Abseits der ökonomischen Fragen (und der Kritik an der Kommerzialisierung des Sports) stellen sich dadurch auch Fragen auf der Ebene der Talentselektion im Fußball.
Wie kann das womögliche Potential eines Spielers vorhergesagt werden? Welche Faktoren sollten herangezogen werden? Welche Prädiktoren sind zuverlässige Variablen für eine Prognose?
Die Sportpsychologie leistet hier wertvolle Forschungsarbeit, um Ergebnisse in der Praxis zu verwerten und sich nicht nur auf die Selektion zu beschränken, sondern auch die Förderung von Talenten gezielt zu unterstützen (Lobinger & Stoll, 2019). Daher soll in diesem Beitrag ein näherer Blick darauf geworfen werden.

Der Talentbegriff

In der Welt der Sportwissenschaft hat man sich auf einen dynamisch-weiten Begriff geeinigt (Zibung, 2013). Das heißt, es werden sowohl personenbezogene Merkmale als auch Umweltfaktoren als Kriterien wahrgenommen (weite Talentbegriff). Außerdem wird der Beziehungen und der Veränderbarkeit der einzelnen Prädiktoren untereinander Rechnung getragen (dynamischer Talentbegriff).
Dadurch ergeben sich weitreichende Folgen für die wissenschaftliche Methodik der Talentforschung (Lobinger & Stoll, 2019; Zibung, 2013)

Möglichkeiten der Talentselektion im Fußball

Einerseits kann auf retrospektive Formen der Talentforschung zurückgegriffen werden. Hierbei werden zum Beispiel Laufbahnen von Spitzensportler mit Hilfe von Fragebögen und Interviews beleuchtet, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu identifizieren (siehe z.B. Zibung, 2013).
Eine andere Möglichkeit besteht in der Gestaltung von Längsschnitt-Studien. Dabei werden Sportler über einen längeren Zeitraum untersucht. Dieser Ansatz verspricht sich, durch die Vergleichbarkeit und Genauigkeit der einzelnen Tests, mögliche Einflussfaktoren zu identifizieren und somit für eine gezielte Förderung heranzuziehen (Murr et al., 2018).

Einflussfaktoren auf die sportliche Entwicklung

Welche Faktoren lassen sich nun relativ oft beobachten, beziehungsweise welche Merkmale wurden in der Vergangenheit im Fußball untersucht?

Es besteht überwiegend Einigkeit darin, dass sowohl physiologische als auch psychosoziale Faktoren die Entwicklung von jungen Fußball-Talenten beeinflussen (Lobinger & Stoll, 2019).
Sowohl technische Fähigkeiten (z.B. Dribbling, Passtechnik) als auch athletische Komponenten (z.B. Sprint, Sprungkraft) zeigen bei Juniorenspitzenfußballern und -nationalspielern höhere Werte als bei Breitensportlern (Zuber & Conzelmann, 2015; Wilson et al., 2016). Wobei es auf diesen Ebenen auch zu einer Verbesserung der Leistung im Laufe der Zeit kommt.
In der retrospektiven Studie von Zibung & Conzelmann (2013) stellten die Forscher fest, dass es für den späteren sportlichen Erfolg ausschlaggebend war, ob ein Profi-Fußballer zusätzlich zum Training im Club noch in der Freizeit Fußball spielte oder einen anderen (ähnlichen) Sport nachging. Außerdem scheint der Eintritt in den Fußball bei späteren Spitzenspielern früher statt zu finden, als bei Breitensportlern (Zibung, 2013).
Auf der Ebene der psychologischen Einflussfaktoren zeigt sich, dass vor allem motivationale und volitionale Variablen ausschlaggebend sind. Vor allem Hoffnung auf Erfolg gepaart mit einer hohen Ziel- und Aufgabenorientierung scheint eine erfolgreiche Karriere im Spitzensport zu begünstigen (Zibung, 2013; Zuber & Conzelmann, 2015).

Schlussfolgerungen für die Talentselektion und -förderung

Daher besteht der Nutzen der Sportpsychologie für die Talentselektion im Fußball darin, geeignete Faktoren zu finden, die die spätere Entwicklung von jungen Talenten vorhersagen. Daher ist es wichtig, auch hier methodisch so zu arbeiten, dass dem weiten-dynamischen Talentbegriff entsprochen wird (Zibung, 2013).
Durch das Identifizieren von geeigneten Prädiktoren lassen sich nicht nur neue Möglichkeiten zur Selektion von jungen Spielerinnen und Spielern definieren, sondern vielmehr auch passende Trainingsinhalte und -schwerpunkte zur Förderung ableiten (Lobinger & Stoll, 2019).

Quellen

Lobinger, B. H., & Stoll, O. (2019). Leistung beschreiben, erklären, vorhersagen und optimieren. Zeitschrift für Sportpsychologie.

Murr, D., Feichtinger, P., Larkin, P., Donna, O. C., & Höner, O. (2018). Psychological talent predictors in youth soccer: A systematic review of the prognostic relevance of psychomotor, perceptual-cognitive and personality-related factors. PloS one13(10), e0205337.

Wilson, R. S., James, R. S., David, G., Hermann, E., Morgan, O. J., Niehaus, A. C., … & Smith, M. D. (2016). Multivariate analyses of individual variation in soccer skill as a tool for talent identification and development: utilising evolutionary theory in sports science. Journal of sports sciences34(21), 2074-2086.

Zibung, M. R. (2013). Der personorientierte Ansatz in der sportwissenschaftlichen Talentforschung–Eine neue theoretisch-methodische Perspektive auf den dynamisch-weiten Talentbegriff (Doctoral dissertation, Universität Bern).

Zibung, M., & Conzelmann, A. (2013). The role of specialisation in the promotion of young football talents: A person-oriented study. European Journal of Sport Science13(5), 452-460.

Zuber, C., & Conzelmann, A. (2015). Talentselektion und Talentförderung im Schweizer Fussball-Zwischenbericht.